Utopia: Die Gefühlsschule für alle

 

 

Es gibt Tage an denen bin ich wie blank.

Alles ist näher als sonst. Als seien die Schleier lichter.

Rührende Geschichten von hilfreichen Gesten auf social media; ein weises Wort, eine Umarmung. Eine kleine Erdbiene in misslicher Lage; sie hat sich irgendwie auf ihren Rücken manövriert und rudert nun mit den Beinen, ich rette sie — Nachdem ich paar Tage vorher munter dutzende von Schnecken eingesammelt und entsorgt habt, um dann abends ein Steak zu verzehren. Finde den Fehler.—
Andere Insekten umrunden mich, meine Hautcreme scheint gut zu riechen, ich freue mich, dass sie mich nett finden. 

Heute ist einer dieser Tage, an denen die Filter durchlässiger sind.

Sind sicher die Hormone. 

Sind ja immer die Hormone, besonders als Frau.

Männer haben ja keine, die haben nur Testosteron, Muckies und Willenskraft, nicht wahr.

Die Mienen unbewegt, die Körperhaltung breitbeinig mit verschränkten Armen.

Das unterstreicht die Armmuskulatur, lässt kompakter erscheinen und schützt praktischerweise davor, offen zu erscheinen.

Nicht, dass am Ende jemand ihr Herz berührt. Gott bewahre.

Gefühle sind nichts für Feiglinge 

 

Ein besonders erfolgreiches männlich daherkommendes Exemplar sagte mir einmal, er sei ungleich enorm viel verletzlicher als eine Frau.
Das versteckte er perfekt, man bemerkte nichts davon.
Und doch wusste ich, dass er die Wahrheit sagt. 

Das ist der Preis, den Männer für ihre Vorherrschaft zahlen im Patriarchat.

Sie bringen einander bei, dass Gefühle Schwäche seien.

In der Öffentlichkeit lachen sie einander aus, wenn einer mal weint oder sein Leid anderweitig zeigt. 

Möglichst unbewegte Miene beibehalten ist ein früh einsetzender Wettkampf.
Wer am längsten wie eine Wachsfigur ins Nichts starren kann, hat gewonnen.

Bodenlos. Ich kenne viele Frauen, die das lächerlich finden, und wenige, die das gut finden. 

Gewaltausbrüche als Ventil sind toleriert. 

„Der hat seine Frau attackiert/ vergewaltigt/ getötet. Naja. Die wollte ihn ja auch verlassen, die hat ihn sogar betrogen. Is doch logisch dass er dann ausrastet.“

Ja, eben. Logisch. 

Weil er keine bessere Strategie hat als die erbärmlichste aller Strategien, nämlich entweder unbewegtes Starren oder Negativität und Gewalt. 

Wie ein kleines Kind.

Primitivste Strategien eben.

 

Doch auch wir Frauen sind emotional nicht reif.
Wir dürfen wenigstens weinen, uns liebevoll trösten und in den Arm nehmen. 

Doch im inneren eigenen Umgang mit unseren Emotionen sind auch wir nicht geschult.

Wieso eigentlich nicht?

Weil wir das erst lernen müss(t)en.
Wir kommen nicht auf die Welt damit.

Wir müssen oder müssten das beigebracht bekommen, indem wir es aktiv vorgelebt und erklärt bekommen.

Nennt sich Gefühlsregulation. 

Das geschieht aber nicht.

Unsere Eltern, das Schulsystem, unser Umfeld weiß davon scheinbar gar nichts. Das ist 

 

Der oberkrassete aller blinden Flecken. 

 

Folgendes wäre und ist zu erlernen:

 

Die eigenen Gefühle

kennenlernen.

Erkennen. 

Einordnen können. 

Sich selber lesen können. 

Sie ausdrücken können mit Worten und Körper.

Die Gefühle dadurch bei sich behalten können.

Sie nicht mehr auf den andere projizieren.

Sie halten lernen.

Sie beobachten lernen.

Um ihnen zuhören zu können: welches unerfüllte Bedürfnis meldet sich mittels der Gefühle?

Was kann ich für mich tun, damit das Gefühl sich gesehen fühlt?

Gefühle wollen gefühlt werden.

Sie sind eine Information, die gewürdigt und entziffert werden kann.

 

Lernt das jemand? Lehrt dass jemand?

Nee. 

Das kriegt man dann mühsam und teuer bezahlt vom Therapeuten oder Coach beigebracht, wenn wir bereits erwachsen sind und unsere neuronalen Netzwerke fett udn fest wie 16spurige Autobahnen sind.

Total mühsam.

Wieviel einfacher wäre es, das bereits von Geburt an beogebracht bekommen, so einfach. Wie sprechen lernen. Denn 

Wir lernen am Modell.

und das wissen wir doch auch alle.

Doch wie wach und differenziert war in Deinem Elternhaus, in deiner Familie, in deiner Schule, in deinem Freundeskreis der Umgang mit Gefühlen?

 

Je reifer ein Mensch hinsichtlich dieser Kompetenz ist, desto

erwachsener, erfolgreicher, resilienter, gesünder, unbesiegbarer

ist er.

 

Und wir ignorieren diese absolute Superkraft komplett! – weil unsere Spielregeln Unreife, kindliche Strategien und Trennung zwischen Männern und Frauen sind.

 

Also ich schäme mich für diese Seite unserer Kultur in Grund und Boden. 

Dass wir uns nicht grottenpeinlich sind..

 

Dafür bedarf es wirklich einer tiefen intensiven Dauer- Trance durch die Ablenkungsstrategien, die wir Leben nennen:  Arbeit, Karriere, TV, Radio, Hobbies, Urlaube, Alkohol, Nikotin, Zucker, Serien, Haus und Garten, shopping, wechselnde Partner, Affären.

 

Es kommt immer auf dasselbe raus. 

bleib endlich stehen

Wir müssten stehen bleiben, still werden, mit uns selbst in Kontakt kommen, uns anfange zu spüren. 

Wie trübes Wasser würde die Sicht auf die Dinge klar werden. 

Wir würden uns ungläubig an den Kopf packen ob des oberpeinlichen Unsinns den wir Verhalten nennen. 

Wir würden erst einmal eine ganze Weile weinen, uns winden, Wellen von Scham erfahren, körperliche Schmerzen bekommen weil wir endlich erkennen würden, wie bedauerlich, unnötig, liebesfeindlich, lebensfeindlich das ist, was wir veranstalten. Wie unerträglich verlogen und schmerzlich das ist und dass es nichts mit dem zu tun hat, wer wir wirklich sind.

 

Und vor dieser Erkenntnis laufen wir alle weg. 

Wir wissen tief in uns, wie bescheuert wir uns verhalten.

Aber das erwachsen anzunehmen, anzusehen und die komplette Verantwortung dafür übernehmen?

Dafür halten wir uns zu schwach.

Wir bleiben lieber das arme Opfer der Gesellschaft.

Ist einfacher, anzuklagen als erwachsen zu werden.

 

Und dabei tut es so gut, das zu können.

Es macht innerlich frei und leicht.

Und es ist so einfach.

Nur halt unangenehm. 

Es ist ganz allein Deine Wahl, die Du triffst.
Es ist Dein Leben.